Das Problem

Das Datingportal Parship fällt seit Jahren durch eine ausgesprochen unschöne Geschäftspraktik auf. Machen Kunden nach wenigen Tagen von ihrem Widerrufsrecht gebrauch, berechnet Parship dennoch einen erheblichen Anteil des Gesamtpreises (für 6 Monate oder 1 Jahr, je nach Vertrag) als so genannten Wertersatz.

Das durchsichtige Argument von Parship ist dabei immer, die Leistungen seien „front-loaded“, es würden also große Teile der Leistung bereits vor dem Widerruf erbracht und müssten daher auch bezahlt werden. Parship stellt dabei auf eine geringe Zahl garantierter Kontakte ab, die in der Tat meist bereits in den ersten paar Tagen „verbraucht“ werden und auf einen Persönlichkeitstest, der ebenfalls am Anfang durchgeführt wird.

Wegen dieser Praxis sind nach Presseberichten schon rund 800 Verfahren beim Amtsgericht Hamburg anhängig. Auch ich vertrete aktuell in entsprechenden Verfahren.

Entscheidung des EuGH

Das Amtsgericht Hamburg hat in einem Fall eine Vorlage zum EuGH (Europäischer Gerichtshof) gemacht, weil die Regelungen zum Wertersatz auf europäischen Recht beruhen.

Am 08.20.2020 hat der EuGH unter dem Aktenzeichen C-641/19 entschieden, dass der Wertersatz lediglich zeitanteilig zu berechnen ist, sofern die Leistungen, die bereits am Anfang erbracht werden nicht ausdrücklich gegenüber dem Verbraucher mit einer Preisangabe versehen worden sind, er also weiß, dass er sie auch im Falle eines Widerrufs voll bezahlen muss.

Zitat (Tz. 29): „Nur wenn der Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine oder mehrere der Leistungen gleich zu Beginn der Vertragsausführung vollständig und gesondert zu einem getrennt zu zahlenden Preis erbracht werden, kann der Verbraucher sachgerecht entscheiden, ob er gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2011/83 ausdrücklich verlangen soll, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung während der Frist für die Ausübung des Widerrufsrechts beginnt. Nur in einem solchen Fall ist daher bei der Berechnung des dem Unternehmer nach Art. 14 Abs. 3 dieser Richtlinie zustehenden Betrags der volle für eine solche Leistung vorgesehene Preis zu berücksichtigen.“

Da Parship die Preise für die am Anfang erbrachten Leistungen nicht separat ausgewiesen hat, ist der Wertersatz nur anteilig zu berechnen und der Kunde muss nach einem Widerruf nur wenige Euro pro Tag bezahlen.

Handlungsempfehlung

Es ist damit zu rechnen, dass die laufenden Gerichtsverfahren zügig abgeschlossen werden. Entweder wird Parship die Ansprüche anerkennen – das Gericht wird entsprechend deutliche Hinweise erteilen – oder es werden hunderte Urteile zu Lasten von Parship gesprochen.

Wer noch nicht geklagt, aber bereits Wertersatz gezahlt hat (bzw. Parship hat den vereinnahmten Betrag nicht ausgezahlt), sollte nun tätig werden. Dies betrifft soweit ersichtlich alle Fälle mit Widerruf ab dem 01.01.2017. Fälle aus dem Jahr 2017 verjähren am Ende des Jahres, wenn nicht vorher Maßnahmen dagegen ergriffen werden.

Für ältere Fälle ist wohl Verjährung eingetreten, soweit man Parship keinen Betrugsversuch durch die Geltendmachung des Wertersatzes unterstellt, was ich für eher unwahrscheinlich halte.

Betroffene sollten daher jetzt den Weg zum Anwalt gehen. Da es sich bei der Falschberechnung des Wertersatzes durch Parship um eine Vertragsverletzung handelt, dürften die Anwaltskosten durch Parship zu erstatten sein.

Gerne vertrete ich Sie vor den Hamburger Gerichten gegen Parship, Ihre persönliche Anwesenheit zu einem eventuellen Prozess ist in aller Regel nicht erforderlich. Sie erreichen mich per E-Mail: wenck @rechtsanwalt-wenck.de oder telefonisch unter 015156068110 oder 041797509820.

Ausblick und Folgen für Parship

Klar ist, dass die laufenden Verfahren und die hoffentlich zu erwartende Flut an neuen Forderungen für Parship teuer werden. Allerdings vermute ich stark, dass sich das Vorgehen für Parship am Ende dennoch gelohnt hat, weil sehr viele Kunden die Forderungen aus Bequemlichkeit oder Scham nicht mehr geltend machen, oder weil die Forderungen verjährt sind oder verjähren.

Bislang hat Parship auf Urteile zu den eigenen AGB immer mit Änderungen reagiert, die dann teilweise wieder gerichtlich angegriffen werden konnten. Möglich wäre insofern, dass Parship die Preise der Einzelleistungen versucht in den AGB zu verstecken, was meines Erachtens nicht wirksam wäre. Auf die tatsächlichen Änderungen darf man gespannt sein, ich erwarte aber eher nicht, dass Parship plötzlich seriös wird.

Die Entscheidung stellt mutmaßlich das Geschäftsmodell von Parship in Frage, denn wer die Plattform bis zu 14 Tage ausprobiert, hat entweder schon einen Partner gefunden oder ist von dem Angebot nicht überzeugt – Zweiteres ist nach meinem Eindruck der Grund für die meisten Widerrufe.